Ein Bericht von Ludwig Flug
Unterwössen. Große Resonanz fand der Infoabend der Bürgerinitiative „Rettet die Kaltenbachwiese“ im Wössner Gemeindesaal. Es wurde eine sachliche Aussprache zwischen Bürgerinitiative, Bürgermeister und Bürgern, auch wenn sich die Gemeinde zum derzeitigen Zeitpunkt außen vor sieht.
Die beiden Gründungsmitglieder Helmut Bachmann und Christina Ager stellten die Bürgerinitiative vor. Im März fanden sich 16 Mitglieder zusammen, die Wiese am Kaltenbach vor Bebauung und Bodenversiegelung zu bewahren. Aktuell zum Abend hat die Initiative mehr als 100 Mitglieder und 404 Unterstützer, die sich mit ihrer Unterschrift für deren Anliegen aussprechen.
Bachmann und Ager schildern zu einer Präsentation auf der Leinwand: Ein Anfang 2020 von den Gemeinden Marquartstein, Reit im Winkl, Schleching und Unterwössen in Auftrag gegebenes Seniorenkonzept für das obere Achental zeigte einen Bedarf an Pflegeplätzen. Die Gemeinde sei darauf aktiv auf die Grundeigentümer, die Kongregation der Barmherzigen Schwestern, zugegangen und habe den Kontakt mit der Gesellschaft der Altenheime Traunstein vermittelt. Die Gemeinde halte nach Prüfung verschiedener Standorte einzig das Grundstück am Kaltenbach für grundsätzlich geeignet und verfügbar.
Ager und Bachmann unterstreichen, die Initiative habe nichts gegen ein Kreisaltenheim, wende sich aber gegen den Standort der Wiese am Kaltenbach. Die Initiative möchte die Wiese, den Baumbestand und das dort ausgewiesene Biotop erhalten. Sie spricht sich für den Erhalt natürlicher und wertvoller Grünflächen aus und erinnert an den Grundsatzbeschluss der Gemeinde die Innenverdichtung voranzutreiben. Die Initiative setzt auf eine ernsthafte Überprüfung von Alternativstandorten und alternativen Pflegekonzepten und eine Offenlegung der Ergebnisse. Sie erinnert an das Motto des Achental Tourismus „Eins mit der Natur“ und möchte das Landschaftsbild erhalten. Das angrenzende Biotop am Kaltenbach würde durch die Baumaßnahmen und den anschließenden Betrieb des Pflegeheims leiden. Die Anbindung eines dortigen Pflegeheims an die Bundesstraße sei schwierig. Bachmann und Ager sprachen sich deutlich gegen eine großflächige Bodenversiegelung auf der Kaltenbachwiese aus und sahen sich damit in einer Linie mit Politik, Recht und Gesellschaft.
Als sie im Rahmen der Präsentation eine Fotomontage zeigten in der sie das etwas kleinere Kreisaltenheim in Palling in Fotos und Planskizze der Kaltenbachwiese montierten, wurde es im Saal unruhig. Die Initiative würde kleinere dezentrale Senioreneinheiten in den Achentalgemeinden oder ein Senioren- und Pflegeheim auf dem Gelände des stillgelegten Sägewerkes Ager bevorzugen.
Christina Ager verwies auf ein kurz zuvor mit der Gemeinde und Bürgermeister Ludwig Entfellner geführtes konstruktives Gespräch. Auf dieser Basis wolle man unbedingt weiter zusammenarbeiten, eine Lösung zu finden.
Georg Anagnostopoulos, Geschäftsführer der Anthojo-Gruppe, die das Unterwössner Senioren- und Pflegeheim betreibt, beschreibt die dortige Situation. Seit 21 Jahren gebe es das Pflegeheim in Unterwössen, immer wieder gelte es solche Einrichtungen den sich ändernden sozialen und gesetzlichen Vorschriften anzupassen. Weil insbesondere die anzustrebende Einzelzimmerquote anders nicht zu erreichen sei, habe das Unternehmen begonnen einen grundlegenden mit der Gemeinde abgestimmten Umbau zu planen. Am Ende habe sich dann erwiesen, dass es praktisch nicht möglich ist, den Umbau im laufenden Betrieb des Altenheims zu bewerkstelligen. Deshalb plane Anthojo nun den Neubau eines Senioren- und Pflegeheims und suche dringend ein passendes Grundstück im Umkreis von 15 km. Nachdrücklich und mehrfach unterstrich Anagnostopoulos, dass Anthojo das bisherige Senioren- und Pflegeheim nicht schließe, ehe ein Ersatzbau im Achental zum Bezug bereitstehe. Theoretisch stehe dafür ein Zeitraum bis ins Jahr 2036 zur Verfügung. „Wir haben einen Sicherstellungsauftrag und nehmen den sehr ernst.“
Als Christina Ager die Fragerunde eröffnete, kamen schnell Fragen an Bürgermeister Ludwig Entfellner auf. Der Bürgermeister sieht es als gutes Recht der Gemeinde, sich selbst um die Ansiedlung eines Seniorenheims zu bemühen, nachdem die Umbaupläne des Unterwössner Pflegeheimes vom Betreiber aufgegeben wurden. Das sei eine Maßnahme der Daseinsvorsorge, das Seniorenkonzept sehe den Bedarf. Das Projekt eines Seniorenheimes verlange drei Punkte: Zuerst ein Grundstück, das 7000 bis 8000 Quadratmeter Baugrund hergebe. Dann müsse das Grundstück verfügbar sein, der Eigentümer es verkaufen oder die Nutzung ermöglichen. Und schließlich müsse sich ein Betreiber für das Senioren und Pflegeheim finden.
Die Situation sei von Gemeinde Verwaltung und Gemeinderat ausführlich geprüft. Letztendlich hätten sich drei Grundstücke im Gemeindegebiet als geeignet erwiesen. Das eine schließe unmittelbar an die Grund- und Mittelschule an. Das hätte im Gemeinderat einige Debatten hervorgerufen. Die unmittelbare Nachbarschaft von Schule und Seniorenheim berge Konfliktpotenzial, hätten doch die Bewohner eines Seniorenheimes ein gewisses Ruhebedürfnis. Auch mache es Sinn, an der Schule Grundfläche für weitere Entwicklungen vorzuhalten, findet der Bürgermeister. Für den zweiten Standort, den Grund hinter der Kreissparkasse, stelle der Grunderwerb Herausforderungen, die sich derzeit als unüberwindbar darstellen. Dagegen biete die Kaltenbachwiese eine gute Aufenthaltsqualität. Der angrenzende Baumbestand werde von den Plänen nicht berührt.
Derzeitiger Sachstand sei: „Wir haben mit den Barmherzigen Schwestern und der Gesellschaft der Kreisaltenheime Traunstein die Akteure zusammengebracht. Wir sind zurzeit aus der Sache raus. Was daraus wird, wissen wir nicht, auch die Kreisaltenheime müssen wirtschaftlich rechnen. Erst wenn sich die Parteien einigen, sind wir, die Gemeinde, gefordert, das Baurecht zu schaffen.“
Eine Bürgerin zeigte sich enttäuscht, dass das Projekt nicht mit einer Ideensammlung in einer Bürgerversammlung angegangen wurde. Der ehemalige Gemeinderat Dr. Dieter Stein äußerte seinen Respekt für die Arbeit der Bürgerinitiative und wünschte sich eine enge Zusammenarbeit zwischen ihr und der Gemeinde. Volkmar Döring, Vorsitzenden der Diakonie Achental, begrüßt ebenfalls deren Engagement. Ein Pflegeheim werde unbedingt gebraucht, aber Pflege sei teuer und wir müssen auf die Kosten achten. Grundsätzlich sei er für einen erschlossenes Grundstück und bitte die Gemeinde danach zu suchen. Wenn es aber auf bebauten Flächen nicht gehe, „müssen wir uns weitere Gedanken machen“.
Uli Penzkofer vom Bund Naturschutz riet zu einem weiten Blick. Flächen sind nicht erst schützenswert, wenn Gesetz und Verordnung sie unters Schutz stellen. Derzeit gebe es auf der Kaltenbachwiese nur Spaziergänger und Tiere. Ein dortiger Bau beeinflusse die umliegenden schützenswerten Flächen.
Ein zugezogener Bürger rät, mehr von der Zielgruppe aus zu denken, und die Senioren und die, die es gerade werden, mit in die Überlegungen einzubeziehen. Er empfiehlt, mit denen Arbeitsgruppen zu bilden. Die Senioren mit in die Planungen einzubeziehen, das wünscht sich auch der ehemalige Gemeinderat Hermann Minisini. Daniela Walter, Gründungsmitglied der Bürgerinitiative, begrüßt die Idee und denkt über eine Befragung der Senioren nach.
Christina Rohleder, Betreuerin im Lebenshilfeprojekt Unterwössen, spricht sich für den Standort am Sägewerk Ager aus. Für sie macht der mit der Bushaltestelle vor der Tür und dem nahen Wössner See Sinn. Dem widerspricht Margit Schlaipfer, Leiterin der Sozialbetreuung im Unterwössner Senioren- und Pflegeheim vehement. Demenzkranke in einem dortigen Seniorenheim mit dem außerörtlichen Fahrzeugverkehr der Bundesstraße vor der Tür, mache für sie keinen Sinn. Senioren sollten im Dorf leben, am Dorfleben teilhaben. Für diese Ansicht erntet Schlaipfer kräftigen Beifall. Sie warnt, sich vom optischen Eindruck der Zweckbauten eines Seniorenheims zu täuschen. „Seniorenheime haben Atmosphäre, darin schlägt ein Herz.“
Die Diskussion endet mit einem Schlusswort von Christina Ager. Bei allen gegenläufigen Ansichten möchte sie nicht, dass der zwischen Bürgerinitiative und Gemeinde aufgenommene Gesprächsfaden reißt. Es ist schön, wie wir heute miteinander diskutierten, das sollten wir weiter tun.
fg